Definitionen von Radikalisierung

Wir werden nun verschiedene Konzepte, Glaubensschulen, philosophische, politische und religiöse Begriffe vorstellen. Da wir täglich in unserer Arbeit mit diesen Konzepten umgehen, ist es uns wichtig „unsere Definitionen“ vorzustellen. Wir sind uns jedoch bewusst, dass es sich um eine unvollständige Liste handelt, die wir laufend erweitern werden. Die vorgestellten Begriffe sind außerdem geladen, kennzeichnen sich durch Komplexität, Subjektivität, Emotionalität, Passion, Interpretation und Wechselhaftigkeit im Laufe der Geschichte.

Im Bewusstsein der Veränderlichkeit dieser Begriffe, sind die MitarbeiterInnen von respect.lu offen für Empfehlungen kritischen Vorschläge und generell für jegliche Art von Diskussion.

Radikalismus, vom lateinischen radix (Wurzel)

 

Hinsichtlich der Definition und der Verwendung des Begriffs „Radikalismus“ herrscht weitestgehend Uneinigkeit. So wird Radikalisierung u.a. beschrieben als das, was vor einem Anschlag passiert (Janis Jost). Eine solche Annahme rückt das Phänomen der Radikalisierung jedoch in ein falsches und einseitiges Licht. Wir müssen davon ausgehen, dass die überwiegende Anzahl der Menschen, die radikale Ansichten haben, keine Gewalt anwenden. Der Begriff der Radikalität wird oft mit einer einseitig negativen Bewertung versehen, die ihm nicht gerecht wird. Ohne radikale Ideen wäre so manche menschliche Entwicklung nicht möglich gewesen.

So wären als Beispiele im technischen Bereich die Erfindung des Buchdrucks oder der Dampfmaschine zu nennen, im religiösen Bereich die Entwicklung des Monotheismus oder die Reformation und im politischen die Verwirklichung der Demokratie oder das Frauenwahlrecht. Alle diese Entwicklungen galten zumindest zeitweise – oder gelten andernorts auch heute noch – als radikal.

Nahezu alle Begriffsdefinitionen sind sich jedoch einig, dass es sich bei dem Phänomen der Radikalisierung um einen Prozess handelt. Eine Radikalisierung passiert nicht plötzlich, sondern nimmt ihren Ausgangspunkt in Situationen, die Unzufriedenheit und einen damit verbundenen (subjektiven) Veränderungswunsch auslösen.

Die Entwicklung radikaler Ideen erfolgt zunächst über eine tiefgehende Betrachtung eines Systems (welcher Art auch immer), verbunden mit dem Wunsch nach einer grundlegenden Veränderung. Es werden Alternativen, Lösungsmöglichkeiten und Ziele entwickelt, die sich deutlich von jenen unterscheiden, die im gegenwärtigen System vorherrschen. Dem Phänomen liegt die Idee zugrunde, Probleme „bei der Wurzel“ zu packen, anstatt es nur an der Oberfläche, bzw. am Symptom anzugehen. Der Wunsch nach einer grundlegenden, umfassenden und drastischen Veränderung stellt eines der Merkmale der Radikalität dar.

Der erste und unproblematische Schritt ist die Meinungsbildung – diese ist bestenfalls faktenbasiert, differenziert und nuanciert. Im Verlauf des Radikalisierungsprozesses verfestigen sich Überzeugungen jedoch zunehmend und werden einer Differenzierung, bzw. Argumentation immer weniger zugänglich. In Folge wird es immer wichtiger Recht zu behalten und die eigene Ansicht – die eine identitätsstützende Funktion bekommen hat – um ihrer selbst willen aufrecht zu erhalten.

Ziel: Die Gesellschaft in Bewegung bringen

Wenn der Meinungsbildung die Aktion, die praktische Tat folgt, ist der Begriff des Aktivismus gerechtfertigt. Aktivisten sind Menschen, die für ihre Ideen und ihre Vorstellungen mit Tatkraft einstehen. Dazu zählen die Verbreitung einer Idee, der Versuch, andere zu überzeugen, das Einreichen einer Petition und/oder das Starten einer öffentlichen Aktion.  Es kann demonstriert, gestreikt oder vielleicht ein Verein, eine Bürgerinitiative oder sogar eine Partei gegründet werden. Und so wenig der/dem Einzelnen vielleicht diese Aktion oder ihr Ziel oder ihr/e UrheberIn gefallen mag, so radikal vielleicht die Idee sein mag: So lange der gesetzlich vorgegebene Rahmen nicht verlassen wird, befinden wir uns in einem Bereich, der nicht nur ungefährlich ist, sondern auch wichtig für die Meinungsvielfalt und die demokratische Freiheit ist.

Aktivismus kann sich sowohl auf einzelne Problemfelder beziehen, wie z.B. für oder gegen ein bestimmtes Bauprojekt in der Gemeinde, als auch grundlegendere und strukturellere Bereiche der Gesellschaft betreffen, wie z.B. den Klimawandel. Eine Person kann einzeln für sich aktiv werden oder in einer Gruppe. Grundsätzlich ist Aktivismus eine maßgebliche Form politischer Beteiligung auf allen Ebenen, solange er im gesetzlichen Rahmen stattfindet.

Grenzwertig sind so genannte legalistische Vorgehensweisen, die innerhalb des rechtlichen Rahmens und ohne Gewalt vorgehen. Deren Ziel ist häufig Abschaffung der freiheitlich demokratischen Grundordnung und deren Ersatz durch ihre – meist autoritäre, oligarchische und/ oder diktatorische – Strukturen.

Erst wenn der legale Rahmen überschritten wird sprechen wir von Extremismus.

Ziel: Die Funktionsweise der Gesellschaft grundlegend verändern

Der Begriff „Extremismus“ leitet sich vom lateinischen Wort „extremus“ ab, welches das Superlativ von „außen“ (exterus) bezeichnet. „Extremismus“ kann dementsprechend mit „das Äußerste“ übersetzt werden.

Ursprünglich handelt es sich bei der Bezeichnung „Extremismus“ um einen sogenannten Behördenbegriff, der alle Auffassungen und Handlungen umfasst, die sich gegen die Minimalbedingungen eines demokratischen Verfassungsstaates richten. Er beruht auf der Vorstellung, dass die gemäßigten Kräfte (von denen keine Gefahr ausgeht) in der normorientierten (und mehrheitlichen) Mitte des politischen Spektrums anzusiedeln sind. Im Gegensatz dazu, werden die Ränder des politischen Spektrums, die in ihren Zielen gegen die bestehende Struktur ausgerichtet sind, in der Minderheit vermutet, sodass keine aktive Gefährdung der derzeitigen politischen Ordnung angenommen werden muss.

Politischer Extremismus ist dadurch gekennzeichnet, dass er den demokratischen Verfassungsstaat ablehnt und beseitigen will. Dies beinhaltet das Ablehnen der Pluralität der Interessen, das damit verbundene Mehrparteiensystem sowie das Recht auf Opposition.

Eine extremistische Einstellung beinhaltet Freund-Feind-Stereotype, ein hohes Maß an ideologischem Dogmatismus, wie auch ein erhöhtes Sendungsbewusstsein.  ExtremistInnen wähnen sich meist in besitzobjektiven Wahrheiten, sind – zumindest nach außen – um das Wohl Aller (Gleichdenkenden) bemüht und legitimieren damit das Vorgehen gegen Andersdenkende oder abweichende Interessen. Dies wird häufig unterstützt durch die Annahme illegitimer Manipulation oder gar Verschwörung durch ihre Gegner.

Die Formen des Extremismus sind vielfältig. Sie können nach der Art der eingesetzten Mittel, sowie nach den politischen Zielen unterschieden werden. So gibt es zum einen Menschen mit extremistischer Zielsetzung, die streng legalistisch vorgehen, also mit ihren Maßnahmen innerhalb des gesetzlichen Rahmens bleiben. Zum anderen gibt es die VerfechterInnen systematisch eingesetzter Gewalt (=> Terrorismus).

Gemäß der politischen Zielrichtung wird v.a. zwischen Links- und Rechtsextremismus unterschieden.

 

  • Linksextremismus geht in der Regel davon aus, dass alle Übel des „Systems“ in der Struktur der kapitalistischen Klassengesellschaft liegen. Alternativen dazu sehen Linksextremisten beispielsweise im Kommunismus oder in der generellen Ablehnung des Staates („Anarchismus“).

 

  • Rechtsextremismus versteht sich häufig als mit Rassismus verbundenem Nationalismus, der das Prinzip menschlicher Fundamentalgleichheit ablehnt. Ziel ist ein durchorganisiertes, uniformes Gemeinwesen, das sich über die als minderwertig angesehenen „Anderen“ erhebt.

 

  • Religiös ausgerichteter Fundamentalismus. Mit seinem Streben nach einem „Gottesstaat“ gilt der Islamismus z.B. als eine eigenständige Form des Extremismus.

Trotz erbitterten Widerstreits der extremistischen Gruppierungen untereinander, scheinen sie sich gegenseitig zu brauchen, da die von ihnen angewandten Freund-Feind-Stereotype u.a. auf der Grundlage funktionieren, dass jede/r Andersdenkende gleich dem Feind-Lager zugerechnet wird und somit scheinbar das gegensätzliche Extrem vertritt.

Ziel: Eliminierung des Systems

Der Begriff „Terrorismus“ hat seinen Ursprung in dem wortwörtlichen „Terror“, der während einer Periode der Französischen Revolution wütete. Gegner der Revolutionsmacht wurden massenhaft öffentlich hingerichtet, weswegen die Guillotine bis heute symbolisch für das Phänomen des Terrors steht.

Ursprünglich war es also der Staat, der diejenigen terrorisierte, die anders dachten. Terrorisiert ein Staat (einige) seiner BürgerInnen oder jene eines anderen Landes, spricht von Staatsterror. Historische Beispiele hierfür wären der nationalsozialistische Terror, sowie unter Stalin und Mao durchgeführte „Reinigungsaktionen“, denen Millionen von nicht linientreuen Bürgern zum Opfer fielen. Heutzutage wird der Begriff „Terrorismus“ jedoch in erster Linie dazu verwendet, um die Gewalt gegen einen Staat zu bezeichnen.

Terrorismus ist das Ausüben und Verbreiten von Terror. Terrorismus ist auch das Ausüben krimineller Gewalt gegen Menschen und/oder Gegenstände zur Erreichung eines politischen, religiösen oder ideologischen Ziels. Terror und Gewalt sollen vor allem Unsicherheit und Schrecken in der Bevölkerung verbreiten und dienen so als Druckmittel. Gleichzeitig können terroristische Aktivitäten auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft in der eignen und/oder einer anderen Gesellschaft generieren. Das Verlangen nach Aufmerksamkeit und der Wunsch nach Anerkennung sind häufig zentrale Beweggründe für die terroristische Tat.

Die unterschiedlichen juristischen Definitionen des Begriffs „Terrorismus“ sind im nationalen und im internationalen Strafrecht aus mehreren Gründen oft umstritten. Es ist besiepielsweise schwierig, zwischen Terrorismus, politischem Widerstand oder Aktivismus zu unterscheiden. Die Unterscheidung zwischen „widerständig“ und „terroristisch“ ist ideologisch definiert, daher sehr subjektiv und folglich oft umstritten. Des einen heroischer Freiheitskämpfer ist des anderen Terrorist.

Richard R. Baxter, ehemaliger Richter am Internationalen Gerichtshof, äußerte sich wie folgt:

„Wir haben Grund zu bedauern, dass uns ein juristischer Begriff des Terrorismus jemals auferlegt wurde. Der Begriff ist unpräzise, er ist mehrdeutig und vor allem dient er keinem entscheidenden juristischem Zweck.“